Beim Du sollte jeder selbst entscheiden

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Das Duzen im Job nimmt zu. Unternehmen geben sich damit gern ein jüngeres und offeneres Image. Doch das ist nicht unbedingt bei jedem gefragt.

Ob bei Online-Bestellungen, Newslettern oder Fernsehinterviews – immer häufiger wird heute geduzt als noch vor zehn Jahren, meist sogar ungefragt. Inzwischen gibt es auch immer mehr Firmen, die den Mitarbeitern das Du im nahelegen oder sogar vorschreiben. Doch ist das sinnvoll?

Uwe Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück, bezweifelt, dass die Hierarchien dadurch wirklich flacher werden. Es sehe auf den ersten Blick natürlich so aus als würde es familiärer zugehen. „Aber eine Veränderung der Machtdistanz durch ein generelles Du sollte man nicht erwarten, weil sich die Rollen und die Persönlichkeit der Menschen nicht ändern“, sagt der Professor. Er meint, dass ein verpflichtendes Du in Firmen eher Symbolcharakter habe. „Es ist eine Zeitgeisterscheinung so wie vor einigen Jahren die offene Tür des Chefs oder der Verzicht des Vorstands auf Krawatten. Das hat viel mit Image und Marketing zu tun“, so Kanning.

Dabei kommt das Du gar nicht immer gut an. Eine Studie an Kannings Hochschule ergab, dass 74 Prozent der Mitarbeiter keine vorgeschriebene Anrede möchten. Viele werten es sogar als Übergriff. „Denn was das kollegiale Miteinander fördern soll, ist im Grunde autoritär“, erklärt Kanning. Für Mitarbeiter, die nicht mitmachen wollen, könnte es sogar schwerer im Unternehmen werden – und damit würde die Absicht auf den Kopf gestellt werden. „Ich würde erwarten, dass die allermeisten dann einfach mitspielen, und im Kreis von Freunden und Familien darüber meckern“, so Kanning.

Start-ups tun sich leichter

Wobei es Unterschiede zwischen den Unternehmen gibt. In Start-ups ist es meist relativ einfach, eine generelle Duz-Kultur zu etablieren. Wobei auch dies zur Disposition steht, wenn die Firma wächst und hierarchischer wird. Vorsichtiger sollten Firmen agieren, in denen jeder bisher selbst entscheiden konnte, wie man sich anspricht. Möchte ein solches Unternehmen ein generelles Du einführen, sollte es vorher die Mitarbeiter anonym befragen. Dann gibt es auch eine belastbare Grundlage für die Entscheidung. Dabei gilt: Man sollte nur dann zum generellen Du übergehen, wenn eine überwältigende Mehrheit dafür ist.

Kanning bezweifelt allerdings, dass bei den meisten anonymen Befragungen eine deutliche Mehrheit für das Du zustande kommt. „Die meisten wollen von Fall zu Fall selbst entscheiden. Man muss schließlich erst einmal Vertrauen aufbauen.“ Schließlich gebe es in vielen Unternehmen auch Neid oder Konkurrenz, bis hin zum Mobbing.

In Meetings oder Projektteams gibt es ebenfalls häufig den Fall, dass ein Vorgesetzter pauschal das Du anbietet. Auch hier rät Kanning Chefs zur Vorsicht. „Das ist das Gegenteil von kollegialer Führung, auch wenn es gut gemeint ist. Im Grunde ist das Verhalten übergriffig“, meint er. „Man müsste die Teilnehmer fragen, ob sie das Du wollen, aber dann setzt man sie unter Druck, weil eine soziale Erwartung entsteht.“ Denn: Wer traut sich schon, in einer Gruppe zu sagen, dass man lieber gesiezt werden möchte?

Am besten macht man keine Regelung – es ergibt sich von allein, ob man und wer sich duzt. Kanning: „Es sind erwachsene Menschen, da sollte jeder beim Du selbst entscheiden.“ Und wer dann doch das Du gerne anbieten will, kann mit Ansteck-Buttons oder in seiner E-Mail-Signatur den populären Hashtag „#gerneperdu“ anbieten.

Das Du greift auch in Stellenanzeigen um sich

Neben dem Du im Firmenalltag wird die informelle Anrede auch immer häufiger in Stellenanzeigen verwendet. Die betreffenden Unternehmen machen es, um ein besseres Image und mehr Bewerbungen zu bekommen. „Unsere Studien haben aber ergeben, dass die Mehrheit der Bewerber in den Anzeigen und im Einstellungsinterview gesiezt werden möchte“, warnt Kanning. Das gelte gleichermaßen für Azubis wie für 60-Jährige. Der Grund: Der Bewerbungsprozess ist eine Art Prüfungssituation, da hält man sinnvollerweise Distanz.

Zudem kann ein Bewerber nicht vom Ton der Stellenanzeige auf das Binnenklima der Firma schließen. „Personalmarketing ist letztlich Werbung: Sie stellt die Realität verzerrt dar“, so der Professor, der auch auf ein anderes interessantes Detail seiner Studie zum Duzen in Stellenanzeigen aufmerksam macht: „Wir haben wir die Teilnehmer auch gefragt, wie sie das jeweilige Unternehmen wahrnehmen. Firmen, die die Probanden duzten, wurden zwar als kollegialer wahrgenommen, aber auch als weniger leistungsorientiert und anspruchsvoll. Es ist also ein zweischneidiges Schwert.“