Ab 2025 müssen viele Webseiten barrierefrei sein

Viele Unternehmen werden bis zum 28. Juni 2025 ihre Webseite umbauen müssen. Denn das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verlangt ab dann Barrierefreiheit im Internet. Wen es betrifft und was dies für die Unternehmen bedeutet.

Artikel: Sarah Lohmann

Unter das BFSG fallen nicht generell alle Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher. Betroffen sind zum Beispiel Produkte wie Computer, Mobiltelefone, Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten und Check-in-Automaten, Fernsehgeräte mit Internetzugang und Router. Zu den betroffenen Dienstleistungen gehören Anbieter von Telekommunikationsdiensten, E-Books, Bankdienstleistungen, Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr und Personenbeförderungsdienste.

Alle Informationen und Funktionen, die auf den entsprechenden Webseiten von Händlern und Dienstleistern zu finden sind, sollen dann für jeden zugänglich sein – unabhängig davon, ob bei den Nutzern Einschränkungen beim Sehen, Hören, Bewegen oder beim Verarbeiten von Infos vorliegen. Für Kleinstunternehmen gibt es gewisse Ausnahmeregeln. Diese Firmen können sich kostenlos durch die Bundesfachstelle Barrierefreiheit beraten lassen. Das S-Cashback-Magazin hat über dieses Thema mit Sven Niklas gesprochen, Jurist und Büroleiter der Bundesfachstelle Barrierefreiheit.

Sven Niklas
Sven Niklas. Foto: Bundesfachstelle Barrierefreiheit/Sascha Lübbe

S-Cashback-Magazin: Barrierefreiheit kennt man im Kontext von Gebäuden. Was meint der Begriff in Bezug auf das Internet?
Sven Niklas: Zugänglichkeit ist auch für die Inhalte im Internet erforderlich. Das heißt, Websites und Apps müssen barrierefrei sein, damit alle Menschen sie nutzen können. Blinden Menschen werden die Inhalte eine Website mit dem Screenreader, einem Bildschirm-Vorlese-Programm, vorgelesen. Insofern ist es wichtig, dass Bilder auf Websites mit einem Alternativtext, der das Bild beschreibt, hinterlegt sind. Außerdem muss die Internetseite so gestaltet sein, dass die Inhalte in der richtigen Reihenfolge vorgelesen werden – und vollständig.

Welche typischen Probleme bringen Websites für Menschen mit Beeinträchtigungen mit?
Blinde Menschen navigieren sich mit der Tastatur durch eine Internetseite, mit der Tab-Taste. Dafür muss die Website so programmiert sein, dass sie problemlos die ganze Website ansteuern können. Dabei darf es auch keine sogenannten Tastaturfallen geben – also Stellen, wo man als Nutzerin oder Nutzer mit der Tastatur nicht mehr weiterkommt. Häufig werden beispielsweise Formularfelder nicht korrekt gestaltet, wodurch sie für einen blinden Nutzer nicht inhaltlich erfassbar sind. Oder Kaufvorgänge können nicht abgeschlossen werden, weil der blinde Nutzer nicht erkennen kann, wie es funktioniert. Auch Kontraste können nicht ausreichend gestaltet sein, sodass Menschen mit Sehbehinderung Probleme beim Erfassen der Inhalte haben. Ein häufiges Problem sind auch Captchas. Wenn diese nicht vom Screenreader erfassbare Inhalte enthalten, sind sie für blinde Menschen nicht nutzbar. Und PDF-Dateien auf Websites sind oft nicht barrierefrei.

Typische Hindernisse von Webseiten: Oft sind die Kontraste zu arm, die Texte können nicht vorgelesen werden und die Navigation ist fehlerhaft.
Typische Hindernisse von Webseiten: Oft sind die Kontraste zu arm, die Texte können nicht vorgelesen werden und die Navigation ist fehlerhaft. Illustration: Adobe Stock

Und wann sind Websites tatsächlich barrierefrei?
Vereinfacht gesagt: Eine Website ist barrierefrei, wenn sie für alle Nutzergruppen zugänglich und nutzbar ist. Dazu muss sie verschiedene Vorgaben erfüllen. Als barrierefrei kann eine Website bezeichnet werden, wenn sie nach den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) gestaltet ist. Die WCAG sind der internationale Standard für barrierefreie Websites und Dokumente. Herausgeber ist das World Wide Web Consortium. Diese Richtlinien sind die Grundlage für gesetzliche Vorgaben in vielen Ländern weltweit. Aktuell sind zurzeit die WCAG 2.2, doch die Gesetze für öffentliche Stellen beziehen sich noch auf die WCAG 2.1.

Welche rechtlich relevanten Standards für Barrierefreiheit bei Websites gibt es?
Maßgeblich relevant ist die Europäische Norm 301 549. Diese ist ebenfalls für öffentliche Stellen verpflichtend umzusetzen, sowohl für Websites als auch für digitale Dokumente. Auch für Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen unter das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) fallen, wird die Europäische Norm 301 549 maßgeblich sein, wenn sie ihre Website oder beispielsweise Bankdienstleistung barrierefrei gestalten müssen. Speziell im Rahmen des BFSG wird die Norm 301 549 gerade noch überarbeitet. Aber für die Umsetzung kann man schon die jetzigen Versionen der Europäische Norm als Grundlage nehmen. Die Norm 301 549 verweist übrigens wiederum auf die WCAG. Für Bankdienstleistungen gelten zudem die Paragrafen 12 und 17 der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV).

Was sollten Unternehmen zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wissen?
Unternehmen müssen sich informieren, ob ihr Produkt und ihre Dienstleistungen unter das BFSG fallen. Dabei können die Erläuterungen zum Gesetz helfen, die wir als FAQ auf unserer Website bereitgestellt haben: www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/faq-bfsg. Wenn sie unter das Gesetz fallen, müssen sie sich schnell um die Umsetzung kümmern – denn das erfordert Zeit.

Welche Webseiten müssen ab 2025 barrierefrei sein?
Wenn über Websites sogenannte „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ für Verbraucher angeboten werden, fallen sie unter das BFSG. Im BFSG Paragraf 2 Nummer 26 wird der Begriff der Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr definiert. Es geht hierbei um den Abschluss eines Verbrauchervertrags wie zum Beispiel der Kauf eines Produkts. Ebenso sind zum Beispiel Bankdienstleistungen für Verbraucher im Gesetz aufgeführt. Online-Banking beispielsweise ist eine Bankdienstleistung.

Gerade Anbieter technischer Produkte wie Handys und Computer müssen ihre Webseiten umgestalten - und dürfen dabei auch die mobilen Webseiten nicht vergessen.
Gerade Anbieter technischer Produkte wie Handys und Computer müssen ihre Webseiten umgestalten – und dürfen dabei auch die mobilen Webseiten nicht vergessen. Foto: Adobe Stock

Mit welchem Aspekt sollte man starten, wenn man seine Website barrierefrei gestalten möchte? Gibt es eine Art Priorisierung?
Einen einzigen Aspekt kann man hier nicht hervorheben. Es sind mehrere Dinge zu planen. Zum einen muss die Website von IT-Spezialisten barrierefrei gestaltet und anschließend getestet werden. Zum anderen müssen die Online-Redakteure informiert und geschult werden, damit sie wissen, wie sie im Content-Management-System die Texte barrierefrei auszeichnen sowie bei Bildern und Grafiken Alternativtexte hinterlegen.

Wer ist von dieser Regelung ausgenommen?
Nach Paragraf 3 Absatz 3 BFSG sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und höchstens zwei Millionen Euro Jahresumsatz, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen, vom BFSG ausgenommen. Kleinstunternehmen, die jedoch Produkte in den Verkehr bringen, fallen wiederum unter das BFSG und müssen die in Paragraf 1 Absatz 2 genannten Produkte barrierefrei gestalten. Allerdings können sich auch andere Wirtschaftsakteure unter Umständen auf zwei Ausnahmetatbestände berufen – so gelten die Barrierefreiheitsanforderungen gemäß BFSGV nur insoweit, als ihre Einhaltung nicht zu „einer grundlegenden Veränderung der Wesensmerkmale“ eines Produkts oder einer Dienstleistung oder zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen würde – das beinhalten die Paragrafen 16 und 17 BFSG). Erläuternde Informationen mit Beispiel finden sich dazu in den Leitlinien zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegeben hat.

Einigen Fachverbänden geht die neue Richtlinie nicht weit genug und sie ermögliche zu viel Ausnahmen. Wie denken Sie darüber?
Aus Sicht der Bundesfachstelle gibt es durchaus Bereiche, in denen das Gesetz nicht vollumfängliche Vorgaben macht. In einigen Teilen wird erst die juristische Praxis zeigen, wie Begriffe definiert werden und die Barrierefreiheit tatsächlich umgesetzt wird. Hierfür benötigen wir weitere europäische Standards, die bisweilen noch entwickelt werden oder sich in der Abstimmung befinden. Auch die barrierefreie Kommunikation in Gebärdensprache und Leichter Sprache ist bisher kaum geregelt im BFSG. Hier könnte man noch Regelungen einführen, damit auch die Verbraucherinnen und Verbraucher mit kognitiven Einschränkungen und gehörlose Menschen besser informiert werden.

Womit muss man rechnen, wenn die Anforderungen an Barrierefreiheit nicht erfüllt werden?
Im schlimmsten Fall kann die zuständige Marktüberwachungsbehörde, die in den Bundesländern angesiedelt werden, auch Bußgelder verhängen – zum Beispiel wenn ein Hersteller ein Produkt auf den Markt bringt, das nicht den Barrierefreiheitsanforderungen der Rechtsverordnung zum BFSG entspricht. Dies kann mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 Euro geahndet werden.

Titelfoto: Adobe Stock

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