Unternehmen müssen ihre Botschaften inmitten eines ständig wachsenden digitalen Lärms an die Kunden bringen. Das Marketinginstrument Storytelling hilft, die Aufmerksamkeit der Kunden zu gewinnen und emotionale Verbindungen aufzubauen.
Text: Gunnar Erth
Gute Werbung zu machen wird schwieriger. Die Kunden tummeln sich auf immer mehr Kommunikationskanälen, was auch ihre Aufmerksamkeitsspanne senkt. Oft entscheiden die ersten Sekunden, ob man dranbleibt oder die Werbung wegwischt, umblättert oder weiterklickt. Je trockener der Inhalt, desto geringer ist die Chance, die Kunden zu erreichen.
Genau da setzt das Storytelling an. Es will die Aufmerksamkeit der Kunden gewinnen und emotionale Verbindungen aufbauen – mit Hilfe von kurzen Geschichten. Denn diese bleiben länger im Gedächtnis hängen als einzelne Fakten, auch, weil sie sich oft im Unterbewusstsein festsetzen. Aber: „Viele dieser Geschichten, ob sie nun über soziale Medien oder bezahlte Medien verbreitet werden, sind keine Inhalte, die es wert sind, geteilt zu werden. Es fehlt ihnen an intrinsischem Wert“, urteilt Hansjörg Leichsenring in einem Artikel für sein Portal „Der Bank Blog“.
Geschichten setzen sich oft im Unterbewusstsein fest
Deswegen ist es wichtig, einige grundlegende Regeln zu beachten. „Storytelling sollte niemals wie ein einfacher Werbespot daherkommen“, betont Leichsenring. „Es muss einzigartig, wertvoll und relevant sein. Zugleich muss Storytelling Informationen vereinfachen und sie anschaulich darstellen, um bei der Zielgruppe nicht nur Interesse zu wecken, sondern auch erinnert zu werden.“
Die Kunst des Storytellings besteht also darin, Kunden auf eine emotionale Reise mitzunehmen und gleichzeitig die Werte und Identität der Marke zu präsentieren. Ganz wichtig ist vor allem die Authentizität. Es muss der Eindruck entstehen, dass ein Unternehmen hinter seinen Werten steht.
Der Held im Mittelpunkt
Inhalt und Form der Geschichten können vielfältig sein und hängen auch davon ab, was im Fokus stehen soll. Wenn es um Produkte geht, neigen viel Firmen dazu, gern nüchtern die Leistung ihrer Erzeugnisse zu präsentieren. Dies ist ein typisch deutsches Phänomen. Gerade amerikanische Firmen haben zum Beispiel schon früh damit angefangen, Kunden erzählen zu lassen, wie sie die die Produkte einsetzen – kein Wunder, dass wir den englischen Begriff „Storytelling“ verwenden.
Typisches Beispiel: Wer Motorsägen produziert, sollte in der Werbung kein Datenblatt rezitieren – diese Infos kann jeder googeln. Stattdessen kann man einen Menschen erzählen lassen, wie er schon immer eine Gartenlaube bauen wollte und dafür selbst mithilfe der Säge die Bäume gefällt hat und sich so sein eigenes Erfolgserlebnis geschaffen hat.
Warum das funktioniert? Weil die Geschichte aus der Sicht des Kunden erzählt wird. Weil dieser sich mit der Geschichte identifizieren kann. Und weil seine Wünsche und Erfahrungen im Mittelpunkt stehen. Diese Art der Geschichte wird gern als „Heldenreise“ bezeichnet. Und die hat drei Stufen:
- Man stellt den Helden vor.
- Der Held wird mit einem Problem konfrontiert.
- Der Held löst das Problem und es gibt ein glückliches Ende.
Der Geschichte kann noch verkompliziert werden durch andere Akteure: etwa den bösen Gegenspieler und den weisen Ratgeber – letzterer repräsentiert in der Geschichte Ihre Firma.
Beispiele für Storytelling
All dies kann auf eine sehr sachliche oder auch sehr spielerische Weise geschehen – das Medium spielt dabei keine Rolle. Einige Beispiele:
- Sachlich: Ein typisches Beispiel sind Geschäftsberichte von Unternehmen. Früher waren sie Text- und Zahlenwüsten, heute wird der trockene Teil gern durchbrochen von Geschichten, in denen Kunden erzählen, wie sie die Produkte oder Dienstleistungen nutzen, oder Mitarbeiter vorstellen, wie sie die Produkte entwickelt haben – und vor welchen Herausforderungen sie dabei standen.
- Emotional: Ein Trendsetter war der Sportartikelhersteller Nike mit seiner „Just Do It“-Kampagne. Dabei erzählten Athleten in Werbespots, wie sie sich über Hindernisse hinwegsetzen. Die Kunden erhielten so eine emotionale Bindung zur Marke und sahen Nike nicht nur als Sportbekleidungshersteller, sondern auch als Inspirationsquelle. Das bekannteste deutsche Beispiel ist der Edeka-Spot „Heimkommen“ über einen alten Mann, der Weihnachten nicht alleine feiern will und zu einem drastischen Mittel greift.
- Spielerisch: Ein gelungenes Beispiel aus Italien waren die „Caballero und Carmencita“-Werbefilme des Kaffeeherstellers Lavazza in den 60-er Jahren. Damals ließ der Sender RAI nur Werbung im Rahmen eines Unterhaltungsfilmchens zu: 105 Sekunden Film, gefolgt von 30 Sekunden Werbeteil, in dem das Produkt erstmals genannt werden durfte. Lavazza produzierte Wildwestparodien mit Papierfiguren, in denen der Hauptdarsteller Paulista mit seinen Schießkünsten seine Carmencita eroberte. Paulista war auch der Name des beworbenen Kaffees.
Wie man passende Themen findet
Nicht jeder wird gleich einen Animationsfilm erstellen können. Das ist auch gar nicht nötig. Wichtiger ist, dass der Inhalt für die Zielgruppe relevant ist. Eine Story kann dabei sehr einfach sein. Diese Themenfelder eignen sich besonders:
- Wie im Beispiel mit der Motorsäge lassen Sie einfach Ihre Kunden in Text und Bild erzählen, wie Ihre Produkte oder Dienstleistungen ihnen bei welchen Herausforderungen geholfen haben. Ganz nebenbei bieten Ihnen die Vorgespräche die Gelegenheit, Feedback einzuholen, was man noch verbessern kann.
- Machen Sie Ihr Personal zum Helden und lassen Sie es Geschichten aus dem Unternehmen erzählen. Etwa, dass sie aufgrund der tollen Produkte oder des Umfelds gern bei Ihnen arbeiten. Oder wie sie geholfen haben, die Produkte zu verbessern.
- Unternehmensgeschichten: Machen Sie Ihre Firma zum Helden. Stellen Sie vor, wie sich Ihr Unternehmen seit den Anfängen entwickelt hat. Wie es wachsen konnte, wie man die richtigen Produkte anbieten konnte. Wer die Firma entscheidend geprägt hat. Und welche Krisen überwunden wurden – denn Erfolge allein sind langweilig.
- Stellen Sie nicht einfach die Fakten zu den Produkten vor, sondern erzählen Sie, warum Sie diese anbieten und wie diese sich entwickelt haben. Etwa, wie Sie Produkte nachhaltiger gemacht haben – das ist immer ein gutes Thema. Welche Schwierigkeiten gemeistert wurden. Das geht auch mit Produkten, die vielleicht eher technisch sind.
Machen Sie sich eine Liste aller Ideen und priorisieren Sie sie. Welche ist wie aufwendig in der Umsetzung? Welche Idee eignet sich für welches Medium und welche Zielgruppe am besten? Beziehen Sie gerne auch Ihre Mitarbeiter im Rahmen eines Ideenwettbewerbs ein.
Haben Sie die besten Ideen ausgewählt, schreiben Sie das Drehbuch der Geschichte. Wer ist der Held, was das Problem, wer der Gegner? Wichtig: Sie selbst sollten nicht der Held sein. Lassen Sie andere sprechen, idealerweise Kunden. Denn die interessieren sich vor allem für das Lösen ihrer Probleme.
Storytelling richtig einsetzen
Wer Storytelling optimal einsetzen und Fehler vermeiden will, sollte folgende zehn Ratschläge beachten:
- Klare Botschaften: Seien Sie verständlich. Versuchen Sie, nicht zu viele Informationen in Ihre Geschichte zu verpacken und verwenden Sie nur einen Handlungsstrang. Der Inhalt sollte sich in einem Satz zusammenfassen lassen.
- Kontinuität: Wenn Sie mehr zu erzählen haben, teilen Sie die Botschaften auf mehrere Geschichten auf. So haben Sie auch gleich Material für weitere Aktionen und schaffen Wiedererkennungswert. Denn: Storytelling sollte keine einmalige Angelegenheit sein. Firmen müssen kontinuierlich Geschichten erzählen, um die Kundenbindung aufrechtzuerhalten.
- Kreativität: Seien Sie kreativ und machen Sie die Geschichte so spannend wie möglich.
- Authentizität ist der Schlüssel zum Erfolg. Kunden erkennen schnell, wenn eine Geschichte konstruiert ist oder nicht zum Unternehmen passt. Halbwahrheiten machen jede gute Story zunichte. Vermeiden Sie Klischees.
Halbwahrheiten machen jede gute Story zunichte
- Spannungsbogen: Ein typischer Fehler besteht darin, Geschichten zu erzählen, die keine Spannung oder keinen Höhepunkt bieten. Spannung ist oft der Schlüssel, um das Interesse der Kunden aufrechtzuerhalten.
- Kopfkino: Man erinnert sich am besten an Dinge, wenn viele Sinne angesprochen werden. Verwenden Sie daher Beschreibungen und Vergleiche, die es Ihrer Zielgruppe ermöglichen, Ihre Firma oder Ihr Produkt zu sehen, zu hören und zu fühlen.
- Visualität: Ein weiterer typischer Fehler besteht darin, Geschichten ohne visuelle Unterstützung zu erzählen. Bilder, Videos und Grafiken machen Geschichten lebendiger.
- Formate: Storytelling kann in verschiedenen Formaten erfolgen, einschließlich Videos, Blogbeiträgen, Podcasts, sozialen Medien und vielem mehr. Die Wahl des Formats sollte von der Zielgruppe und der Art der Geschichte abhängen. Wichtig ist, dass Sie über die Kanäle hinweg einheitlich kommunizieren.
- Zurückhaltung: Viele Menschen reagieren ablehnend, wenn Werbung zu aufdringlich ist. Wenn der Inhalt gut ist, kann die Ansprache zurückhaltend sein.
- Feedback: Achten Sie darauf, wie die Geschichten bei den Kunden ankommen und nehmen Sie bei Bedarf Anpassungen vor.
Keine Sorge, das müssen Sie nicht alles allein beherrschen. Nehmen Sie an Storytelling-Workshops teil. Oder organisieren Sie solche gleich in Ihrer Firma, um mehr Leute miteinzubeziehen und Wissen aufzubauen. Zudem können Sie für Ihre Kampagnen die Dienste von Storytelling-Agenturen in Anspruch nehmen.
Fotos: Adobe Stock