Das halbe Team ist krank – was jetzt?

Montagmorgen, Teambesprechung. Die Liste der Krankmeldungen ist lang und die Stimmung sinkt. Während sich die verbleibenden Mitarbeiter durch ihre To-do-Listen kämpfen, stellt sich für die Führungskraft eine Frage: Wie lässt sich diese Situation bewältigen, ohne das Team komplett zu überlasten?

Text: Sarah Lohmann

2024 erreichten die Krankenstände Rekordwerte – eine Belastungsprobe für Unternehmen. Die Arbeit muss weitergehen, das Team darf aber nicht zusammenbrechen. Hinzu kommt das ungeschriebene Gesetz des Präsentismus: Wer sich krankmeldet, könnte als unzuverlässig gelten. Wer sich trotz Fieber ins Büro schleppt, riskiert nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die der Kolleginnen und Kollegen. Produktiv ist das selten – trotzdem passiert es immer wieder. Ralf Hirmke, Vorstand der Betriebskrankenkasse BKK ZF & Partner, hält wenig von dieser Haltung: „Wenn Beschäftigte wirklich krank zur Arbeit in den Betrieb kommen, hat das in erster Linie negative Konsequenzen.“

Zwischen Skepsis und Selbstausbeutung

Gleichzeitig schwingt eine gegenteilige Sorge mit: Wird die telefonische Krankschreibung ausgenutzt? Laut einer Umfrage des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) sind 66 Prozent der Beschäftigten überzeugt, dass genau das passiert. 62 Prozent sehen darin sogar einen Grund für steigende Krankenstände.

Laut AOK sei die telefonische Krankmeldung allerdings keine Ursache für steigende Fehlzeiten. Vielmehr sei hierfür die gestiegene Belastung im Arbeitsalltag, vermehrte Atemwegserkrankungen und die verbesserte Erfassung von Krankmeldungen ausschlaggebend.

Noch paradoxer wird es, wenn man sich die andere Seite der Statistik vom IFBG anschaut: 68 Prozent geben zu, schon einmal krank gearbeitet zu haben – nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern aus Bequemlichkeit. Der Gang zum Arzt? Zu aufwendig.

Es bleibt die große Frage: Wann ist jemand wirklich zu krank, um zu arbeiten?

Wann ist krank wirklich krank?

Ralf Hirmke, Vorstand der BKK ZF & Partner, betont, dass es keine allgemeingültige Antwort darauf gibt, ab wann man zu krank zum Arbeiten ist. Er erklärt: „Manche können mit Kopfschmerzen gar nicht arbeiten, andere haben häufig leichte Kopfschmerzen, ohne dass es sie weiter beeinträchtigt“. Für eine fundierte Entscheidung rät Utz Niklas Walter, Leiter des IFBG, sich drei Fragen zu stellen:

  1. Stecke ich jemanden an?
    Wer mit einer ansteckenden Erkrankung zur Arbeit geht, gefährdet nicht nur die eigene Genesung. Besonders in offenen Büros oder bei Tätigkeiten mit viel Kundenkontakt kann ein einziger Infekt schnell weitere Krankmeldungen nach sich ziehen.
  2. Ist es wahrscheinlich, dass ich bei der Arbeit Fehler mache?
    Konzentrationsmangel oder Schmerzen können dazu führen, dass selbst einfache Aufgaben fehleranfällig werden. Wer sich kaum auf seine Arbeit fokussieren kann, bewirkt mehr Schaden als Nutzen.
  3. Verschleppe ich Krankheiten?
    Wer sich nicht auskuriert, riskiert langfristige gesundheitliche Folgen. Eine verschleppte Erkältung kann beispielsweise zu einer Bronchitis oder einer Lungenentzündung werden, die zu noch längeren Ausfallzeiten führt.

Wer mindestens eine Frage mit „Ja“ beantworten kann, sollte einen Arzt aufsuchen und sich rausnehmen.

Klare Kommunikation bei hohem Krankenstand

Unternehmen sollten die gesundheitliche Verfassung der Mitarbeiter, den Krankenstand und die Folgen für die gesunden Mitarbeiter genau im Auge behalten. Eva Schulte-Austum, Wirtschaftspsychologin und Business-Coachin, rät zu transparenter Kommunikation. Eine Überbelastung durch einen hohen Krankenstand müsse offen angesprochen werden. Idealerweise schaue man gemeinsam mit dem Team nach möglichen Lösungen und warte besser nicht darauf, dass sich die verbliebenen Mitarbeiter selbst organisieren. Hier geht es allen voran um die richtige Balance zwischen Fürsorge und Pragmatismus.

Fabian Krapf vom Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung rät, Prioritäten zu setzen. Führungskräfte müssen sich überlegen, welche Aufgaben eilen, und welche warten können, bis sich die Situation wieder entspannt. Backup-, Vertretungs- und Springerpläne definieren außerdem Zuständigkeiten im Krankheitsfall – das verhindert Chaos und Überbelastung.

Bei krankheitsbedingten Ausfällen sollte man gemeinsam mit dem Team Lösungen finden.

Entscheidend ist auch der richtige Umgang: Wenn Mitarbeiter ihre Grenzen aufzeigen, braucht es lösungsorientierte, sachliche Gespräche. Meetings verschieben, Aufgaben umverteilen oder kurzfristig externe Unterstützung einholen – all das kann helfen, Druck aus der Situation zu nehmen.

Eva Schulte-Austum betont nicht zuletzt die Bedeutung von Wertschätzung. Wer für erkrankte Kolleginnen und Kollegen einspringt, sollte das nicht als selbstverständlich hinnehmen müssen. Wer das Gefühl hat, dass sein zusätzlicher Einsatz gewürdigt wird, bleibt darüber hinaus motivierter – und das kommt letztlich allen zugute.

Vorbild Führungskraft

Häufig unterschätzt, aber genauso relevant für eine gesunde Unternehmenskultur: das Verhalten der Führungskraft im Krankheitsfall. Wenn sich der Chef hustend durch die Meetings schleppt, setzt er ein falsches Signal, so Eva Schulte-Austum. Indirekt könne dieses Verhalten so wirken, als werde genau das von den Mitarbeitern erwartet. Wird sich hingegen auskuriert, zeigt den Mitarbeitern: Wenn ich krank bin, ruhe ich mich aus und ich erwarte, dass ihr genauso verantwortungsbewusst mit eurer eigenen Gesundheit und der eurer Kollegen umgeht.

Nicht nur im akuten Krankheitsfall, sondern auch präventiv können Unternehmer viel tun:

  • Offene Gespräche mit erkrankten Mitarbeitern: Führungskräfte sollten aktiv nachfragen, ob ein Mitarbeiter, der eindeutig ins Bett und nicht an den Schreibtisch gehört, wirklich arbeitsfähig ist.
  • Gesundheitsgespräche etablieren: Eine feste Zeit, in der Teams über den richtigen Umgang mit Krankheiten reden können, hilft, Bewusstsein zu schaffen.
  • Pausen fördern: Regelmäßige Erholung, etwa alle 90 Minuten, kann dazu beitragen, langfristige Gesundheitsprobleme zu vermeiden.
  • Grenzen akzeptieren: Nicht alles muss sofort erledigt werden – ein gesundes Arbeitsumfeld entsteht durch realistische Erwartungen.

Unterm Strich heißt das: Krankheitsfälle sind unvermeidbar. Entscheidend ist, wie Unternehmen damit umgehen. Führungskräfte, die für klare Kommunikation sorgen, Belastung abfedern und eine gesunde Unternehmenskultur fördern, profitieren von zufriedeneren, motivierteren Teams. Denn am Ende zählt nicht, wer sich am längsten krank ins Büro schleppt – sondern wer langfristig gesund und leistungsfähig bleibt.

Fotos: Adobe Stock

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