Weniger Stress, bessere Arbeitsatmosphäre und stärkerer Teamzusammenhalt: Bürohunde haben viele Vorteile. Allerdings sollte das Mitbringen der Vierbeiner mit allen Beteiligten gut abgesprochen werden. Was es darüber zu wissen gibt.
Text: Sarah Lohmann
Fred hat sich in seinem beigefarbenen Cord-Körbchen unter dem Schreibtisch niedergelassen. Er sieht zufrieden aus, reckt sich, ein Kauknochen und ein etwas mitgenommen aussehender Kuschelhase liegen neben ihm. Hier unter dem Tisch verbringt er die kommenden acht Stunden, ab und zu dreht er eine kleine Runde durch das Großraumbüro, schnuppert an den Taschen der Kollegen, lässt sich das Köpfchen tätscheln, um nach seiner Tour zurück zu seinem Stammplatz zu gehen.
Die etwa 40-minütigen Mittagspausen verbringen sein Frauchen und er mit Gassigehen im Stadtpark. Danach gibt es Mittagessen; und zwar Trockenfutter, damit sich die Kolleginnen und Kollegen nicht vom Geruch gestört fühlen. Inzwischen kennt jeder Mitarbeitende den kleinen Langhaardackel, der ohne Leine im Büro umherläuft. Er ist beliebt, wird freundlich begrüßt, manchmal sogar auf zusätzliche Gassirunden von den Kolleginnen und Kollegen mitgenommen.
Die Hundstage im Büro sind eine Win-Win-Situation für alle, denn Fred könnte nicht einen ganzen Arbeitstag allein in der Wohnung bleiben. Auch eine Ganztagesbetreuung in einer Hundetagesstätte ist keine Option. Zu viel Stress für Fred, danach komme er kaum zur Ruhe, sagt seine Besitzerin.
Einverständnis aller Beteiligten ist Voraussetzung
Der Arbeitgeber begrüßt Hunde, solange die Kolleginnen und Kollegen einverstanden sind. Hätte jemand im Büro eine Allergie, Angst oder würde Fred durch Bellen stören oder sich aggressiv verhalten, wären die Bürotage mit Hund nicht möglich. Außerdem ist das klassische Büro in der Regel weniger problematisch als etwa eine Fabrikhalle: Fred kann sich nicht verletzen, ist keinen lauten Geräuschen ausgesetzt und sein Frauchen kann sich während der Arbeit angemessen um ihn kümmern. Das ist in der Regel nicht einmal notwendig – Fred schläft viel.
Laut der Tierschutzorganisation Veto ruhen erwachsene Hunde durchschnittlich 14 bis 18 Stunden pro Tag. Markus Beyer, erster Vorsitzender des Bundesverbands Bürohund erklärt: „Das heißt aber auch, dass der Mensch die Verantwortung trägt, dass der Hund zur Ruhe kommen kann. Manche Hunde platzieren sich zum Beispiel als Wache in der Mitte des Büros und übernehmen den ganzen Tag über den Job des Aufpassers. Besser ist, dem Hund Sicherheit zu vermitteln, ihm einen Rückzugsort zu bieten und ihm so zu zeigen, dass er sich entspannen darf.“
Höherer Wohlfühlfaktor
Inzwischen muss Fred nicht einmal mehr angemeldet werden. Seine Besitzerin arbeitet an drei Wochentagen im Homeoffice, zwei im Büro. An diesen Tagen weiß jeder, dass Fred gegen 8.30 Uhr durch die Eingangstür geschossen kommt. Gemäß einer Schätzung des Bundesverbands Bürohund besuchen etwa 500.000 Hunde in Deutschland regelmäßig mit Herrchen oder Frauchen den Arbeitsplatz.
Und das wirkt sich vorteilhaft auf alle Anwesenden aus, wie mehrere Studien belegen. Schon 2010 hat sich beispielsweise die schwedische Forscherin Linda Handlin mit den physiologischen Auswirkungen der Mensch-Hund-Beziehung befasst. Ihr Ergebnis: Die Interaktionen zwischen Hund und Mensch erzeugen den Ausstoß von Oxytocin; das reduziert Stress und spricht das Belohnungssystem an. Bürohunde können sogar zur Burnout-Prävention eingesetzt werden.
Ein Hund im Büro steigert zudem den Teamzusammenhalt, ermittelte Stephen M. Colarelli von der Central Michigan University. Der Grund: Ein Hund weckt positive Emotionen. Die Arbeitsgruppe mit Hund kooperierte im Umgang mit einer Problemlösungsaufgabe besser als die Vergleichsgruppe ohne Tier.
Beyer betont aber, dass Hunde niemals nur ein Mittel zum Zweck sein dürfen. „Wer unter Stress steht, sollte sich erst einmal beruhigen und erst danach den Hund streicheln – sonst kann sich die aufgeladene Stimmung auf das Tier übertragen. Selbst kurzes Innehalten zugunsten des Vierbeiners entlastet die Psyche. Im Büro bewegen wir uns in einer Welt mit drei wesentlichen Faktoren: dem Arbeitgeber, den Mitarbeitern und dem Hund – und dieser ist das fragilste Glied in der Kette“.
Besseres Image als Arbeitgeber
Insbesondere nach der Pandemie stellte Beyer eine wesentlich größere Nachfrage zum Thema Bürohund seitens der Betriebe fest. Entscheidend seien hierfür zwei Aspekte: Die Mitarbeiterbindung und das Recruiting. „Der Arbeitsmarkt hat sich gewandelt, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sitzen heute am längeren Hebel und haben einen geschärften Blick auf das Hamsterrad, in dem sie arbeitsbedingt steckten.“
Inzwischen sind Bürohunde keine Seltenheit mehr – namhafte Unternehmen gehen beispielhaft voraus, wie eine Übersicht des Bundesverbands Bürohund zeigt. Im Hauptquartier von Amazon sind Hunde ausdrücklich erlaubt, laut Personaldatenbank sind 6000 Mitarbeitende registriert, die ihren Hund ins Office bringen. Frische Leckerlis gibt’s dort an der Rezeption. Google setzt mit „We are a dog company“ ein Statement für den Bürohund und bei Xing gehören etwa 20 Hunde zum Office-Alltag.
Auch im Medienkonzern Axel Springer sind Hunde an der Tagesordnung: Es gibt rund 240 Bürohunde, etwa 70 werden täglich in den Räumlichkeiten begrüßt. Dort gibt es sogar eine Hundebeauftragte, Kerstin Drobniewski. Wer seinen vierbeinigen Begleiter mitbringen möchte, muss bei ihr einen Antrag stellen – dieser muss Impfpass, Haftpflichtversicherung und die Zustimmung des Teams beinhalten. Anschließend folgt ein Wesenstest. Schließlich geht’s nicht nur um die Menschen vor Ort – auch der Hund muss fürs Mitkommen geeignet sein.
Lösungen statt Probleme
Die vierjährige Husky-Dame Nora ist trotz ihres freundlichen, aufgeschlossenen Wesens nicht unbedingt tauglich fürs Büro, ihre Besitzer arbeiten deshalb überwiegend aus dem Homeoffice. Mit 25 Kilogramm Körpergewicht ist sie etwas größer, manche haben Angst vor ihr – sie wirkt einfach anders als Fred, der Langhaardackel. Außerdem haart sie rassetypisch stärker, was bei Kolleginnen und Kollegen oft nicht so gut ankommt und sie hat ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis.
Manchmal begleitet sie ihren Besitzer trotzdem, er arbeitet in einem Einzelbüro und kann dieses mit dem Staubsauger vor Ort schnell reinigen. Sein Arbeitgeber steht den Bürohunden wertschätzend gegenüber: zwei kommen fast täglich. Die Vierbeiner sind Bestandteil des Teams und spielen während der Mittagspausen mit den anderen Hunden. „Falls dann doch mal jemand Angst hat, ist es sinnvoll, hundefreie Zonen einzurichten“, so Beyer. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen müssen ihren Arbeitsplatz ohne Hundekontakt erreichen können.
Wenn es zum Beispiel zwei Aufzüge gibt, sollte einer hundefrei sein. Kommt es dennoch zu einer Begegnung, ist der Besitzer in der Verantwortung, Sicherheit und Verständnis zu signalisieren, zum Beispiel durch ein Lächeln, und sollte sich als Abschirmung zwischen Hund und Person positionieren. „Hundebesitzer sollten nicht versuchen zu therapieren. Das wird nicht funktionieren, denn niemand wird den eigenen Hund so wahrnehmen wie der Besitzer“, ergänzt Beyer.
Gut ausgebildet
Nicht jeder Hund ist gleich als Bürohund geeignet. Manchen kann eine Ausbildung helfen, wie sie beispielsweise in der Hundeschule „Wau Wau Art“ von Sarah Friederichs in Neukirchen-Vluyn angeboten wird. Im Kurs vermittelt die Hundetrainerin die Theorie: von Hygienevorschriften und der Gesundheit des Tiers über die Organisation des Berufsalltags mit Hund, das Erkennen von Stresssignalen, bis hin zur Kommunikation zwischen Mensch und Hund. Im Praxisteil geht es dann ans Eingemachte: Grundgehorsam, Kommunikationstraining, Impulskontrolltraining und abschließende Übungen stehen auf dem Programm.
Theorie und Praxis müssen mit jeweils einer Prüfung abgeschlossen werden, dann gibt es ein entsprechendes Zertifikat. Laut Bundesverband Bürohund geht es bei der Tauglichkeitsfrage nicht um die Rasse – diese bestimme nur etwa neun Prozent der Verhaltensvariationen. Beyer ergänzt: „Es sind der Charakter, die Erziehung und die gemachten Erfahrungen, die darüber entscheiden, ob ein Hund ins Büro passt oder nicht.“
Kerstin Quast, Hundetrainerin mit Fokus auf berufstätigen Hundeeltern, gibt auf ihrem Blog einen Überblick über Ausschlusskriterien: Hunde mit Allergien, Gelenkproblemen, Inkontinenz oder Magen-Darm-Beschwerden sind eher ungeeignet. Bürogeräusche wie das Summen des Druckers und klingelnde Telefone sollten dem Vierbeiner nichts ausmachen. Auch das Eintreffen von Postboten oder Kunden müssen für den Hund händelbar sein. Herausfordernd sind darüber hinaus unruhige Hunde, Hunde mit territorialen sowie aggressiven Verhaltensweisen und solche, die sehr gesprächig sind und sich einfach gerne mitteilen – wie Nora.
Der Bundesverband Bürohund arbeitet an einem wissenschaftlich fundierten Zertifizierungsprogramm für Betriebe mit Schulungen für alle Beteiligten. Die Inhalte ähneln denen des Trainingsprogramms von Friederichs: Behandelt wird unter anderem die Kommunikation zwischen Mensch und Hund, das Einordnen von Stresssignalen oder die notwendigen Rahmenbedingungen für ein gutes Miteinander. Voraussichtlicher Start ist im Herbst 2024.
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