ChatGPT kann in 15 Sekunden ein Anschreiben verfassen. Schon lange drängen Expertinnen und Experten dazu, sich mehr auf den Lebenslauf und moderne Formen des Vorstellungsgesprächs zu fokussieren.
Autor: Gunnar Erth
Sie sind fester Bestandteil einer jeden Stellenbewerbung: Anschreiben, Lebenslauf und Zeugnisse. Doch schon seit einiger Zeit wird die Relevanz der individuellen Anschreiben, die eh im Idealfall nicht mehr als eine Seite umfassen sollen, hinterfragt. Oft kommt der Hinweis auf den angelsächsischen Raum, in dem auf Anschreiben prinzipiell verzichtet wird und vor allem der Lebenslauf als Auswahlkriterium für Bewerber gilt.
Anschreiben schreckt viele Bewerber ab
Tatsache ist, dass Bewerber oft mit den Anschreiben zu kämpfen haben. Viele Interessenten verprellt es sogar, zeigt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Bilendi im Auftrag der Königsteiner Gruppe unter 1026 Beschäftigten, die sich in den letzten 12 Monaten beworben haben. Mehr als jeder Dritte hat sich danach schon mal gegen eine Bewerbung auf eine interessante Stellenanzeige entschieden, weil dafür ein Anschreiben erforderlich war.
„Auch wenn einige große Arbeitgeber das Anschreiben schon aus ihrem Bewerbungsprozess entfernt haben, gehört es vor allem im Mittelstand noch immer zum festen Repertoire“, sagte Nils Wagener, Geschäftsführer der Königsteiner Gruppe, die Ergebnisse der Umfrage. Das sei vor allem deshalb fragwürdig, weil das Anschreiben so gut wie nie zum Zusammenfinden zwischen Unternehmen und Bewerber beitrage. Wagener: „Arbeitgeber, die derartige Bremsen abbauen, passen sich den Rahmenbedingungen des Fachkräftemangels an und dürften das an höheren Bewerbungseingängen merken.“
Bewerbung mit künstlicher Intelligenz
Als ein klassisches Argument für das Anschreiben gilt die Tatsache, dass sich Bewerber mit dem Unternehmen auseinandersetzen müssen, wenn sie ihre Bewerbung verfassen. Doch gilt das noch im Zeitalter künstlicher Intelligenz? Viele Bewerber lassen sich heute ihre Anschreiben von KI-Tools wie ChatGPT schreiben. Laut dem aktuellen Jobwechsel-Kompass, den die Königsteiner Gruppe einmal im Quartal erstellt, ziehen 60 Prozent aller Jobsuchenden in Betracht, ihr nächstes Anschreiben oder ihren nächsten Lebenslauf mithilfe künstlicher Intelligenz zu verfassen. Jeder Fünfte hat bereits mindestens einmal auf diese Weise ihr Anschreiben erstellen lassen.
„ChatGPT erfüllt heute für die flächendeckende Anwendung künstlicher Intelligenz eine ähnliche Rolle wie 2007 das iPhone für die mobile Internetnutzung. Das spiegelt sich auch in der Jobsuche wider“, so Geschäftsführer Wagener. Gefragte Talente nutzten die Steilvorlage, die das Tool ihnen bietet, um sich ein Grundgerüst für ihre Bewerbung zu bauen. „Arbeitgeber müssen sich auf dieses neue Bewerbungsverhalten einstellen und stehen in Zukunft vor der Herausforderung, qualitative Maßstäbe an zunehmend automatisiert erstellte Bewerbungsunterlagen anzulegen“, ergänzt Wagener.
Selbstversuch: Bewerbung in 15 Sekunden
Wie einfach es geht, ein Anschreiben per ChatGPT verfassen zu lassen, zeigt ein Selbstversuch. Die Aufgabe lautete: „Schreibe mir ein Anschreiben für eine Stellenbewerbung bei der Deutschen Telekom als Systemanalyst“. Innerhalb von nur 15 Sekunden produzierte die künstliche Intelligenz diesen Text:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großem Interesse bewerbe ich mich hiermit auf die ausgeschriebene Stelle als Systemanalyst bei der Deutschen Telekom. Als erfahrener IT-Experte mit einer starken Leidenschaft für innovative Technologien und Lösungen bin ich überzeugt, dass ich einen wertvollen Beitrag zu Ihrem Unternehmen leisten kann.
In meiner bisherigen beruflichen Laufbahn habe ich umfangreiche Erfahrungen im Bereich der Systemanalyse gesammelt. Während meiner Tätigkeit bei [Name Ihres aktuellen/letzten Arbeitgebers] konnte ich mein Wissen und meine Fähigkeiten in der Analyse von Systemanforderungen, der Identifizierung von Verbesserungspotenzialen und der Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen kontinuierlich erweitern. Ich bin versiert im Umgang mit modernen Tools und Technologien, die für die Systemanalyse und -optimierung erforderlich sind.
Ein besonderes Highlight meiner bisherigen Arbeit war meine Rolle bei der Einführung eines neuen ERP-Systems bei [Name des Unternehmens]. Hierbei habe ich maßgeblich zur erfolgreichen Integration des Systems beigetragen, indem ich Anforderungen ermittelt, Schnittstellen definiert und eine reibungslose Implementierung gewährleistet habe.
Die Deutsche Telekom ist bekannt für ihre führende Rolle in der Telekommunikationsbranche und ihre fortwährende Innovation. Dieses Umfeld reizt mich besonders, da ich meine Fähigkeiten und Expertise in der Systemanalyse einbringen möchte, um dazu beizutragen, dass die Deutsche Telekom weiterhin an der Spitze der Branche bleibt.
Als Teamplayer bin ich es gewohnt, in multidisziplinären Teams zu arbeiten und komplexe Herausforderungen zu bewältigen. Ich verfüge über ausgezeichnete Kommunikationsfähigkeiten und die Fähigkeit, technische Informationen verständlich zu vermitteln, sowohl gegenüber technischen als auch nicht-technischen Stakeholdern.
Ich bin überzeugt, dass meine Fähigkeiten und meine Leidenschaft für innovative Lösungen perfekt zur Unterstützung Ihrer IT-Abteilung passen. Ich freue mich sehr auf die Möglichkeit, mein Know-how in einem dynamischen Unternehmen wie der Deutschen Telekom einzubringen.
Vielen Dank für die Berücksichtigung meiner Bewerbung. Ich stehe Ihnen gerne für weitere Informationen oder ein persönliches Gespräch zur Verfügung und freue mich auf die Gelegenheit, Sie und Ihr Team näher kennenzulernen.
Mit freundlichen Grüßen,
[Ihr Name]“
Muster ohne Wert?
Tatsache ist: Dank künstlicher Intelligenz lassen sich schnell stilistisch und sprachlich einwandfreie Anschreiben erzeugen. Diese lassen sich auch noch verfeinern:
- Man kann ChatGPT zum Beispiel den Text des eigenen Lebenslaufs und vorheriger Zeugnisse mitschicken.
- Zudem kann man von dem KI-Tool auch den Text der Stellenausschreibung berücksichtigen lassen.
Auf diese Weise lassen sich noch deutlich individuellere Anschreiben als im obigen Beispiel produzieren, bei denen man fast nur noch Betreff und Ansprechpartner ergänzen muss. Zudem lassen sich unendlich viele Varianten produzieren, wenn einem die erste Fassung nicht zusagt.
Etwas Feinschliff am Ende ist nötig, doch klar ist, dass der Aufwand überschaubar ist. Gerade für Berufsanfänger und Bewerber, die fachlich stark, aber vielleicht keine geborenen Schriftsteller sind, kann ChatGPT eine enorme Erleichterung darstellen und für mehr Chancengleichheit sorgen. Bewerber sollten aber kritisch überprüfen, ob der generierte Text auch der Wahrheit entspricht, denn falsche Angaben können als Betrug angesehen werden.
Selbstkritische KI
Doch was sagt ChatGPT selbst über die Möglichkeit, Anschreiben mit Hilfe des KI-Tools erstellen zu lassen? Hier die Antwort:
„ChatGPT und ähnliche KI-Tools können sicherlich dabei helfen, den Schreibprozess zu beschleunigen und grundlegende Anschreiben zu generieren. Dennoch sollte jedes von solchen Tools erstellte Anschreiben sorgfältig überarbeitet und angepasst werden, um sicherzustellen, dass es den spezifischen Anforderungen der Stelle und des Unternehmens entspricht. Ein vollständig generiertes Anschreiben ohne individuelle Anpassung kann unpersönlich wirken und potenzielle Arbeitgeber weniger beeindrucken.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass individuelle Anschreiben nach wie vor eine wichtige Rolle in Bewerbungsprozessen spielen, da sie Ihre Anpassungsfähigkeit, Ihr Engagement und Ihre Fähigkeiten in der schriftlichen Kommunikation unter Beweis stellen. Es ist sinnvoll, KI-Tools wie ChatGPT als Unterstützung zu verwenden, aber die Anschreiben sollten dennoch sorgfältig und individuell verfasst werden.“
Alternative Formen nutzen
Es ist davon auszugehen, dass die von der KI erzeugten Anschreiben künftig noch besser werden, da sich die Technik ständig weiterentwickelt. Bereits sind die so erzeugten Bewerbungen kaum von herkömmlichen zu unterscheiden. Auf die Frage, ob sie eine von ChatGPT verfasste Bewerbung erkennen würde, sagte Theresa Zschieschow, Vizepräsidentin des Recruiting-Software-Herstellers Softgarden E-recruiting, im Interview mit dem Magazin Spiegel: „Nein, ohne KI-Tool wahrscheinlich nicht.“
Die Expertin hält Bewerber, die ChatGPT klug einsetzen, sogar für innovativ und effizient. „Entscheidend ist doch: Wie ehrlich gehen beide Seiten miteinander um? Wenn ein Arbeitgeber seine Stellenanzeigen von ChatGPT schreiben lässt, kann er auch nicht erwarten, dass die Bewerber individuelle Anschreiben verfassen. Jedes Unternehmen muss den für sich richtigen Weg finden“, so Zschieschow.
Dennoch: All dies ist Wasser auf die Mühlen der Personalexperten, die wenig Wert auf Anschreiben legen. Eine Lösung könnte mit Sicherheit sein, mehr Kandidaten auszuwählen und zum Vorstellungsgespräch zu bitten. Dieses könnte zum Beispiel auch in Form der Teilnahme an einem Team-Lunch geschehen, um die persönliche Seite der Kandidaten besser kennenzulernen.
„Bei anderen Unternehmen kann man sich per WhatsApp oder mit einem Video bewerben“, berichtete Theresa Zschieschow im Spiegel-Interview. „Der Trend geht aber ganz klar weg vom Anschreiben und auch weg vom Lebenslauf und hin zu Assessment-Center und sogenannten Bewerberfunneln, bei denen die Kandidaten online Fragen beantworten.“
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