Europaweit hat Deutschland die höchste Retourenquote. Laut einer Studie wird fast jeder vierte Onlinekauf zurückgeschickt. Mit welchen Mitteln Händler diese Quote reduzieren können.
Text: Gunnar Erth
Es gibt sie noch, die treuen Kunden. Ein Viertel aller Onlineshopper in Deutschland verzichtet komplett auf Retouren. Das hat eine repräsentative Umfrage des Digitalverbands Bitkom ergeben, die im Februar 2023 veröffentlicht wurde. Doch wie hoch ist der Anteil der Waren, die nach dem Verkauf zurückgeschickt werden? Hier variieren verschiedene Schätzungen.
Laut Bitkom wird im Schnitt jeder zehnte deutsche Onlinekauf zurückgeschickt. Doch nach Ansicht der Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg ist die Quote deutlich höher. Deren Studie kam im Herbst 2022 zum Ergebnis, dass 2021 fast jedes vierte Paket zurückgeschickt wurde. Das sind rund 530 Millionen Retourensendungen mit 1,3 Milliarden Artikeln.
Retouren einfacher als im Rest der EU
Im Bereich Fashion und Accessoires erreichen die Retourenquoten die höchsten Werte. Die Studie „Versand- und Retourenmanagement im E-Commerce 2022” des Handelsforschungsinstituts EHI hat dazu Details ermittelt. Rund ein Viertel der befragten Händler bezifferte die Fashion-Retouren auf bis zu 50 Prozent, 12 Prozent geben sogar ein Aufkommen von bis zu 75 Prozent an. An zweiter Stelle folgt der Sektor Sport und Freizeit.
Die hohen Werte liegen nicht zuletzt daran, dass Händler in Deutschland ihren Kunden Retouren leichter machen als in anderen Ländern. Dafür hat die Uni Bamberg drei Gründe ermittelt:
- Viele Deutsche bestellen Waren per Rechnung. Hierzulande sind es 28,8 Prozent, in der restlichen EU lediglich 9,9 Prozent. Was noch nicht bezahlt ist, wird leichter zurückgeschickt.
- Deutsche Onlinehändler gewähren sehr liberale Rücksenderegeln. Die Rückgabefrist beträgt in der Stichprobe im Schnitt 51,7 Tage. In der restlichen EU gibt man 28,1 Tage Zeit.
- In Deutschland ist die Rücksendung in der Regel kostenlos, wie 88,7 Prozent der befragten Onlinehändler bestätigten. In der restlichen EU sind es 52,4 Prozent.
Da diese Gepflogenheiten in Deutschland aber üblich sind, bieten sie schlechte Ansatzpunkte, um Retouren zu reduzieren.
Nicht-Gefallen als Hauptgrund
Erfolgsversprechender ist es, die Gründe zu ermitteln, weswegen die Kunden Ware zurückschicken. Am häufigsten werden laut Bitkom Onlinekäufe retourniert, die nicht gefallen. 54 Prozent nennen dies als Anlass. 53 Prozent haben schon mal eine Retoure getätigt, weil das Produkt fehlerhaft oder beschädigt war; 42 Prozent, weil es nicht dem Bild oder der Beschreibung im Webshop entsprach, und 38 Prozent, da es schlecht verarbeitet wirkte. Viele Kunden kalkulieren die Retouren sogar von Anfang an mit ein: 37 Prozent haben schon einmal absichtlich mehr bestellt als sie eigentlich brauchen, zum Beispiel Kleidung in verschiedenen Größen.
Ziel muss daher sein, den Kunden bei der Auswahl im Onlineshop so zu unterstützen, dass er ein genaueres Bild vom Produkt erhält und dieses wirklich seinen Ansprüchen genügt. Denn die beste Retoure ist die, die nicht anfällt. Die mit Abstand wichtigste Maßnahme im Retourenmanagement ist nach Ansicht von 86 Prozent der vom EHI in der erwähnten Studie befragten Händler die detaillierte Produktbeschreibung im Onlineshop. Eine solche Artikelbeschreibung informiert über alle wichtigen Eigenschaften und die Beschaffenheit, unterstützt von hochwertigen Produktbildern oder Produktvideos. Ganz besonders wichtig ist es, Größentabellen, einen Größenrechner und die direkte Unterstützung durch den Kundensupport anzubieten.
Vermehrt helfen auch intelligente Anwendungen. „Digitale Lösungen wie virtuelle Anproben, datenbasierte Größenberatung und Rundum-Ansichten unterstützen bei der Produktauswahl und können so dazu beitragen, die Retourenquote zu senken“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. „Das bedeutet nicht nur eine höhere Kundenzufriedenheit und geringere Kosten auf Seiten der Händler, sondern auch weniger Ressourcenverbrauch in der Logistik.“
Bei der virtuellen Anprobe lassen sich verschiedene Looks am PC oder Smartphone vergleichen und Kleid, Hose oder Shirt auf Anhieb in der richtigen Größe auswählen. Dies ist nicht nur in der Mode verbreitet, auch bei Optikern gibt es das Prinzip schon. Genutzt hat diese Funktion zwar erst jeder elfte Onlinekäufer, so Bitkom. Mehr als jeder Dritte kann sich dies aber vorstellen und würde eine virtuelle Anprobe über eine interaktive Funktion in Onlineshops gerne nutzen.
Weitere Maßnahmen im Retourenmanagement
Während die virtuelle Anprobe ein Beispiel für präventives oder proaktives Retourenmanagement ist, verfolgt das reaktive Retourenmanagement einen anderen Ansatz. Hierbei geht es darum, dass bereits retournierte Waren effektiv verarbeitet werden, um sie dann erneut zu verkaufen. Und es geht darum, die Kunden besser zu verstehen.
Als Beispiel nennt das EHI das Erforschen von Gründen für die Retouren. Voraussetzung dafür ist eine gut funktionierende Kommunikation, zum Beispiel über Apps und Onlineplattformen, über die Kunden Retouren einfacher abwickeln und den Bearbeitungsstatus ihrer Retouren einsehen können. Über diese Kanäle lässt sich Feedback einholen, mit dessen Hilfe sich Schwachstellen im Bestellprozess beseitigen lassen.
Ebenfalls wichtig ist laut EHI die Vermeidung der Beschädigung von Waren durch sichere Verpackungen. Das verhindert zwar nicht, dass Retouren anfallen, aber bewirkt, dass diese leichter wiederverkauft werden können. Und ist wichtig, denn lediglich 1,3 Prozent der retournierten Artikel werden direkt durch die Händler entsorgt, so die Uni Bamberg. Die meisten zurückgeschickten Artikel (93,2 Prozent) werden dagegen als neuwertig verkauft.
Wettrennen um die Kunden
Immer mehr Kunden erwarten zudem, dass Waren schnell geliefert werden. Teilweise bestellen sie auch bei konkurrierenden Händlern. Wer zuerst liefert, hat größere Chancen, dass der Kunde die Ware behält. Ganz wichtig: Lieferzeiten klar kommunizieren.
Auch den Prozess der Retourenverarbeitung versuchen viele Händler effizienter zu gestalten – mit einer guten logistischen Infrastruktur. Damit können die einzelnen Arbeitsschritte wie die Rücknahme, Einlagerung und Einbuchung in der internen Lieferkette schnell von statten gehen. Die Qualitätsprüfung, kleinere Reparaturarbeiten und das Neuverpacken der Waren sind nur einige der Aufgaben, die dabei auszuführen sind. „Bei der Optimierung ihrer Retourenprozesse nutzen Händler vor allem immer mehr und bessere IT-Systeme und treiben die Automatisierung voran”, erklärt Andreas Kruse, Director Business Development beim EHI.
Fotos: Adobe Stock